Als Public Enemy in den Achtzigerjahren ihre ersten Songs veröffentlichten, bedeutete das eine Politisierung des Hip-Hop und wirkte wie ein Schock: Guerilla-Gestus, revolutionärer Sound, wütende Kampfansagen wie "Fight The Power" waren die Markenzeichen der Band um Mastermind Chuck D (bürgerlich Carlton Ridenhour). Bis heute gelten Public Enemy darum als eine der einflussreichsten des Genres. Musikalisch halten sie an ihrem Stil fest, das belegt auch das gerade erschienene, mittlerweile 15. Studioalbum "What You Gonna Do When the Grid Goes Down?". Das Gespräch mit dem 60-jährigen Chuck D fand auf Zoom statt.
ZEIT ONLINE: Wenn Sie an die Anfänge Ihre Karriere zurückdenken, Herr D, hätten Sie sich die Zukunft und das Jahr 2020 ungefähr so vorgestellt?
Chuck D: Nein. Aber das liegt vor allem daran, dass ich immer schon im Hier und Jetzt gelebt habe und generell versuche, so wenige Erwartungen wie möglich zu haben. Ich hätte mir zum Beispiel ganz sicher nicht vorgestellt, dass jemand wie Donald Trump einmal Präsident der Vereinigten Staaten sein würde. Aber das hat auch niemand sonst erwartet. Ich bin in New York City aufgewachsen, in Long Island, und der Typ war immer schon da. Er war ein vergleichsweise harmloser Immobilienmagnat, jemand aus den Klatschspalten, der sich auch schon einmal ein Football-Team kaufen wollte. Aber dass der mal unser Land regieren würde? Das hätte ich niemals jemand für möglich gehalten. Harmlos ist er als Präsident einer Weltmacht jedenfalls längst nicht mehr.
ZEIT ONLINE: Das thematisieren Sie auch auf Ihrem neuem Album in dem Song State Of The Union. Für die Beschreibung des Zustandes der USA benutzen Sie eine Gestapo-Referenz.
Chuck D: Ja, man muss sich vor einem Faschismus fürchten, der in neuen Gewändern daherkommt. Wer die historischen Parallelen nicht sieht, ist entweder blind oder hat in Geschichte nicht aufgepasst. Mit solch expliziten Aussagen versuche ich, die Leute davor zu bewahren, auf Trumps billige Propaganda hereinzufallen und Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
ZEIT ONLINE: Fürchten Sie sich vorm Ausgang der anstehenden US-Präsidentschaftswahlen im November?
Chuck D: Angst ist immer ein schlechter Berater. Wir müssen uns den Realitäten stellen.
ZEIT ONLINE: Wie lautet Ihre Prognose für die Wahl?
Chuck D: Ich habe keine. Was ich aber weiß: Sollte der amtierende US-Präsident wiedergewählt werden, steuern wir eben auf Faschismus zu. Ich habe manchmal den Eindruck, die Leute erkennen den Ernst der Lage nicht und halten das Ganze für eine Reality-TV-Show. Aber das ist es nicht: Hier geht es um echte Menschenleben, und es betrifft die ganze Welt.
ZEIT ONLINE: Was würde eine weitere Amtsperiode Trumps für Sie und die afroamerikanische Community konkret bedeuten?
Chuck D: Eine Abspaltung von der Diaspora. Um als Schwarzer in den USA zu überleben, darf man sich nicht als Teil einer Minderheit hier begreifen, sondern als Angehöriger der weltumspannenden großen Gruppe von People of Color. Wir sind in Wahrheit keine Minderheit, wir sind die Mehrheit.
ZEIT ONLINE: In einem Interlude Ihres neuen Albums heißt es: "America has bought all her troubles upon herself." Doch nicht nur sich selbst hätten die USA Schlimmes eingebrockt, das Land allein sei schuld an den Problemen auf der Welt. Wie ist das zu verstehen?
Chuck D: Die USA waren immer schon ein heuchlerisches Land, das gilt seit den Zeiten des Imperialismus. Wir Amerikaner tun uns immer noch schwer, uns ehrlich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen. Die USA waren oft rücksichtslos, ohne einen Funken Empathie gegenüber anderen Staaten. Die USA sind in Wirklichkeit ein vollkommen anderes Land als das, für das es sich nach außen hin ständig ausgibt. Wir müssen uns und anderen gegenüber endlich unsere Fehler eingestehen und ehrlich sein, nach innen und nach außen. Aber das tun wir nicht. Das ist ein großes Problem.
ZEIT ONLINE: Einer der ersten politischen Songs im Hip-Hop war 1982 The Message. Darin haben Grandmaster Flash & The Furious Five die sozialen Missstände der Zeit beschrieben. Als Sie 1987 mit Public Enemy Ihr erstes Album Yo! Bum Rush The Show veröffentlichten, gingen Sie einen Schritt weiter und riefen dazu auf, besagte sozialen Missstände zu ändern. Wie viele dieser Änderungen haben in der Zwischenzeit stattgefunden?
Chuck D: Die Dinge haben sich verändert. Aber es gibt auch immer wieder Rückschritte, wenn nicht immer wieder Generationen nachrücken, die die Notwendigkeit von Veränderungen erkennen und diese weiter vorantreiben. Man darf die Umstände nie als gegeben betrachten und sich auf dem Erreichten ausruhen, sonst fällt man schnell auf überwunden Geglaubtes zurück.
ZEIT ONLINE: Welchen Einfluss kann Hip-Hop überhaupt in Bezug auf gesellschaftlichen Wandel haben?